Berta Turnherr Spirig

Unser Rheintal, unsere Mundart. Ich heisse Berta Thurnherr-Spirig, bin 1946 in Diepoldsau geboren und da geblieben. Diepoldsau liegt ganz am östlichen Rand der Schweiz in einem Bogen des Alten Rheins, von der Schweiz getrennt seit 1923 durch den Neuen Rhein. In Diepoldsau reden wir eine einzigartige Mundart, so wie dies an vielen Orten der ganzen Welt der Fall ist. Unsere Mundart ist alemannisch und klingt doch ganz anders als andere schweizerdeutsche Dialekte, die alle auch alemannisch sind. Unsere Mundart verrät unsere Herkunft, ist grosser Teil unserer Identität und Persönlichkeit. Diese Mundart ist zur Leidenschaft meines Lebens geworden, obwohl ich als Jugendliche hoch motiviert Fremdsprachen gelernt habe. Das kam so: in den Achtzigerjahren habe ich zusammen mit meiner Schwester Maria Schmid bei alten Menschen Geschichten gesammelt. Unser Ziel war die Dokumentation der Mundart und der besonderen Geschichte unseres Dorfes an der Grenze zu Oesterreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir sammelten über 40 Tonbänder voll. Die habe ich alle Wort für Wort transkribiert. Dies bedingte, dass ich eine Schreibweise für unsern Dialekt entwickelte.
Die Tonbänder haben wir als immaterielles Kulturgut dem Phongrammarchiv der Universität Zürich zur Archivierung übergeben. Ich habe viele Stunden aufgenommen, gehört, aufgeschrieben und weitergegeben in rund 400 Lesungen, Radiosendungen usw. Diese Arbeit hat mich sehr für die Eigenart unserer Mundart sensibilisiert. Ich habe Gedichte, Liedtexte und Geschichten im Diepoldsauer Dialekt geschrieben. Es sind eine CD mit Geschichten, 2 CD s mit Liedern und eine Bilderbuchgeschichte entstanden. In Anthologien und Literaturzeitschriften erschienen einige meiner Texte in Diepoldsauer Mundart. Mit grossem Erfolg hat die Theatergruppe Rhybrugg Diepoldsau das Freilicht-Theater «Hìandaram Tamm» aufgeführt. Tobias Fend, Vorarlberger Schauspieler und Auto hat den Text dazu aufgrund meiner gesammelten Geschichten geschrieben. Ich habe das Stück in Diepoldsauer Dialekt übersetzt. Die Gemeinde Diepoldsau hat ein wertvolles Hör- und Lese-Buch mit einer Auswahl der gesammelten Geschichten, mit eigenen Texten und mit einem Glossar herausgegeben: «As wöart schù wööara, ma tuat wamma kaa».
Die Vereinigungen Literatur Vorarlberg und das Internationale Dialekt Institut IDI haben mich als Mitglied aufgenommen. Mit grosser Freude durfte ich 2018 den Rheintaler Kulturpreis «Goldiga Törgga» der Rheintaler Kulturstiftung entgegennehmen. Am 10.6. erhalte ich von der St. Gallischen Kulturstiftung einen Anerkennungspreis für meine Arbeit. Auch über diese Ehre freue ich mich riesig. Lange wurden die Rheintaler wegen ihrer Sprache ausgelacht. Das ist schlimm. Durch meine jahrzehntelange Arbeit habe ich das Bewusstsein auf die Einzigartigkeit und den Klangreichtum unserer Mundart gerichtet. Das hat viel Spielen, Raten, Vergleichen, Mundartfreude, Staunen bei der Rheintaler Bevölkerung ausgelöst. Ich habe an verschiedenen Orten in Deutschland, der Schweiz und in Österreich unsere Mundart in Geschichten aus der Sammlung und in eigenen Texten erklingen lassen. Der Bogen erstreckt sich von den Solothurner Literaturtagen bis nach Langenlois in Niederösterreich. Unsere Mundart hat jetzt den Stellenwert, der ihr als immaterielles Kulturgut gebührt. Das ist das Wesentliche, das die beiden Preise zum Ausdruck bringen.